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der Fronde, auch auf politische Macht Anspruch erhoben.181) Doch war ihr Widerstand gebrochen, höchstens in den Provinzen trat er noch öfters hervor.182) Auf die Besetzung der Ratsstellen an den Parlamenten hatte der König keinen Einflufs, da alle Stellen offices héréditaires waren.183) Die Stellen waren Eigentum der Familien. Nur, wenn kein Erbe da war, oder kein Käufer sich fand, oder wenn ganz neue Stellen errichtet wurden, konnte der König ein Besetzungsrecht ausüben. Die Preise der Stellen bei den Parlamenten waren aufserordentlich hoch.184) Vergebens suchten verschiedene Ordonnanzen die Preise in einer gewissen Niedrigkeit zu halten, damit fähigen Leuten der Zugang nicht verschlossen würde; aber grade, dafs die Ordonnanzen so oft wieder eingeschärft werden müssen, zeigt, wie oft diese Bestimmungen umgangen wurden.185) So gab es also eine erbliche Richteraristokratie; aber die Erblichkeit machte viel wieder gut, was die Käuflichkeit verschuldete. Die Inhaber der Stellen suchten ihre Söhne möglichst gut heranzubilden, wozu auch Königliche Bestimmungen nötigten, die für jedes richterliche Amt eine bestimmte Studienzeit, Erlangung eines akademischen Grades und mehrjährige Wirksamkeit als Advokat forderten.186) Es war auch ein bestimmtes Alter zur Bekleidung jeder Stelle erforderlich, für die conseillers wurde dasselbe 1669 auf 27, für die Präsidenten auf 40 Jahre festgesetzt. Wenn der junge Advokat durch den Tod seines Vaters oder dessen Verzichtleistung oder durch Kauf in Besitz einer Stelle gekommen war, so mufste er noch ein Examen bestehen, das freilich so sehr scharf nicht zu sein pflegte, besonders wenn der Anwärter einer alten Parlamentsfamilie angehörte. Doch wehrte man sich dagegen, dafs ganz unwürdige Leute in die Stellen kamen. So haben denn die Parlamente ihren Mitgliedern den Ruhm persönlicher Unbescholtenheit und juristischer Tüchtigkeit zu bewahren gewufst. Freilich hatte der ganz einseitig juristische Gedankenkreis, in dem sich die meisten Mitglieder der Parlamente von Jugend auf bewegt hatten, zur Folge, dafs sie vielfach selbst nach den Anschauungen der damaligen Zeit zu hart verfuhren. Oft waren die Intendanten milder gesinnt, als die Räte.187) Auch spielten Vorurteile und Rücksichten auf vornehme Geburt oder hohe Empfehlung eine Rolle, 188) da ja die hohen Beamtenkreise zum Teil aus dem Parlament hervorgingen. Die Organisation der Parlamente war meist der des Pariser ähnlich. Dies zerfiel in die grand' chambre, für

181) Tippelskirch p. 33. 35. 182) So wurde das Parlament der Bretagne von 1676 bis 1690 in die Verbannung, d. h. in einen kleinen Ort, geschickt; in Rouen kam es noch vor, dafs alle Mitglieder, als eine Verordnung des Königs registriert werden soll, den Saal verlassen (Floquet V 588). 183) Seit 1672 waren auch die Stellen der Unterbeamten der notaires, huissiers, sergens, archers erblich, pour leur donner moyen de s'attacher avec plus d'assiduité à notre service et à celui du public (Isambert 19. 5). 184) Die Stelle des président à mortier kostete 350 000 livres, die eines conseiller 90 100 000, die eines commissaire aux requêtes 15 000 etc. 185) 1665. Isambert 18 66, 1673. 19 121; später giebt der König nach 186) Zum Beginn des Rechtsstudiums mufste man 18 Jahr alt sein (Depping IV 605). Das Studium mufste drei Jahr dauern, täglich mufste zwei Stunden gehört werden. Das Diktat der Professoren war schriftlich vorzuweisen (Isambert 19. 198). Das Einpauken, répéter les estudes en droit, was schon damals üblich gewesen zu sein scheint, wird wiederholt untersagt (Isambert 19 1. Depping IV 641). Am Schlufs war ein Examen zu bestehen, das eine Stunde lang vor zwei docteurs aggrégés und dem professeur en droit français abzulegen ist, der Examinand kann auf drei Monat zurückgestellt werden (Isambert 20. 349). Dann mufste man zwei Jahr bei einem Advokaten hören, um endlich selbst Advokat zu werden. 187) Lemontey 354.

In Dôle war ein Bürger zum Tode verurteilt, weil er Fleisch an einem Fasttage gegessen hatte. Der Intendant suchte die Ausführung des Urteils zu hindern und schrieb an Louvois; der aber will nicht einschreiten, um das Volk nicht zu verletzen (Rousset II 135). 188) Colbert empfiehlt dem premier président von Rouen Der Wunsch des Königs wird auch gern beachtet.

ganz offen Rücksicht zu nehmen (Clement II 460).

die mündlichen Appellationen in Civilsachen, drei chambres des enquêtes für die schriftlichen Appellationen und solche, die die grand' chambre nicht erledigen konnte, zwei chambres des requêtes 189) für die Prozesse der mit einem committimus versehenen, 190) in erster Instanz, und die chambre tournelle criminelle für Kriminalfälle. Die Mitglieder der grand' chambre waren die ältesten Räte, die auch zu den Sitzungen der tournelle zugezogen wurden. Die jüngeren Räte safsen in den chambres des enquêtes und hatten in besonderer Commission in der chambre des requêtes thätig zu sein. Alles in allen gab es einen premier président, 10 présidents à mortier, 21 weltliche, 40 geistliche Räte; doch war die Zahl wechselnd. Ausserdem gehören zum Parlament Sekretäre (greffiers), Gerichtsdiener (huissiers) und Häscher (archers). Denn das Parlament hatte, wie alle Gerichte, die Befugnis seine rechtskräftigen Beschlüsse selber ausführen zu lassen. Zu dem Behuf hatte es seine Gefängnisse und seine Henker. Die Entscheidungen der Parlamente waren endgiltige. Nur selten kam es vor, dafs ein Urteil in einer Sache, die man überhaupt vor dem Parlament hatte verhandeln lassen, umgestofsen wurde.191) So konnten in Frankreich Todesurteile gefällt und vollstreckt werden, ohne dafs der König damit zu thun hatte.

Aufser den Parlamenten gab es für kleinere Streitigkeiten 192) königliche Gerichte letzter Instanz, die présidiaux, die zugleich für gewisse Vergehen 193) und gröfsere Streitobjekte erste Instanz waren. Diese waren von je sieben Richtern besetzt, deren Stellen käuflich, aber nicht erblich waren. Auch hier wurde ein bestimmtes Alter und Qualifikation gefordert. Das gröfste aller Präsidialgerichte war das Châtelet, das Pariser-Stadtgericht, das 56 conseillers hatte.194)

Die Richter erster Instanz waren teils königliche, teils grundherrliche. Dieselben werden verschieden bezeichnet, meist als prévôts, die baillis haben einen etwas höheren Rang. Die Gerichtsbarkeit der seigneurs war noch sehr verbreitet, man rechnete 50000 Patrimonialrichter. Die Kompetenzen der verschiedenen Gerichte scharf zu unterscheiden, ist wohl fast unmöglich, da Appellationen von prévôts an baillis teilweise zulässig waren, teilweise, besonders in allen Kriminalfällen, in denen eine Leibesstrafe verhängt war, direkt ans Parlament gingen. Manchmal hatte ein Gericht Appellationen von seinem Nachbargericht anzunehmen, manchmal waren Gerichte gegenseitig von einander abhängig, kurz, die Verschiedenheit der Kompetenzen ist aufserordentlich grofs. Die meisten Richter erster Instanz waren Einzelrichter. Die Bezahlung war sehr verschieden, manchmal zahlte der seigneur und zog die Gebühren ein, öfter war der Richter wohl blos auf Sporteln angewiesen. Die Gerichtskosten waren daher sehr hoch, weil die Einnahmen der Richter fast nur aus den Gebühren, die die Parteien zu zahlen hatten, flossen.

Bei allen Gerichten wurde das Interesse des Königs von besonderen Beamten, den procureurs, wahrgenommen. Das ministère public, was sie versahen, hatte den Zweck,

sitzen.

189) Nicht zu verwechseln mit der table des requêtes de l'hôtel, in der die maîtres des requêtes 190) Committimus ist das von den Königen an bestimmte Personen, auch an Klöster, Stiftungen u. dergl. verliehene Recht, ihre Prozesse nicht vor dem gewöhnlichen Gericht zu führen. 191) So erklärt ein arrêt du conseil (le roi y séant) éteintes et supprimées toutes les procédures faites à Rouen et en Normandie pour raison du crime de sortilége (Floquet V 727). Ebenso wird die Strafe des Feuertodes, zu der das Parlament von Rouen vier Zauberer verdammt hat, aufgehoben. a. a. O. 720. 192) Sachen

bis 250 livres an Wert (traité des présidiaux p. 233). alles von Vagabunden begangene (a. a. O. 329)

193) Schwerer Diebstahl, Raub, fausse monnaie, 194) Delamarre I 241.

beständig an die Vorschriften der Gesetze zu erinnern, und die Thätigkeit der Gerichte zu überwachen. Beim Parlament von Paris gab es einen procureur général, 3 avocats généraux und 18 substituts.195) Bei den Untergerichten hatte ein procureur fiscal über die Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung zu wachen. Auch die Ämter der procureurs waren käuflich und bildeten meist die Durchgangsstufe zu anderen Stellungen. Bei den gröfseren Gerichten waren Advokaten thätig, die meist geschlossene Korporationen bildeten. Von dem gewöhnlichen Gang der Rechtspflege giebt es nun vielfache Ausnahmen. Einmal kann der König jederzeit durch eine lettre d'état eine gerichtliche Verfolgung auf sechs Monate suspendieren. Ferner kann er Specialgerichte einsetzen. So sind die grands jours in der Auvergne bekannt, auch sonst aber kommen Königliche Kommissionen, um noch unbestrafte Verbrechen zu richten. 196) Wie die Intendanten eingriffen, sahen wir. Es hiefs, sie seien mit lettres de cachet versehen, auf die hin jeder beliebige ins Gefängnis geworfen werden konnte, ohne dafs eine rechtskräftige Verurteilung erfolgt war.

Dann aber giebt es zahlreiche besondere Gerichte für allerlei Berufe. So Handelsgerichte, bureaux des finances für Domänenangelegenheiten, Forstgerichte s. o., Salzkammern (greniers à sel) über Vergehen beim Salzhandel, die cours des aides, chambres des comptes, chambres des monnaies s. u., die amirautés, tribunaux de douanes, prévôté de l'hôtel, table des requêtes de l'hôtel, officialités (die geistlichen Gerichte) die conseils de guerre (Kriegsgerichte), und die connétablie und maréchaussée, die über alles Militärpersonen betreffende urteilt. Die meisten dieser Gerichte urteilen in kleineren Dingen in letzter Instanz, die Appellation geht an das Parlament.

Es bleibt nun noch die Finanzverwaltung zu behandeln. An der Spitze derselben steht der contrôleur général, dessen Geschäftskreis auch Ackerbau und Handel mit umfalste. Man mufs nun genau zwischen Verwaltung der direkten und indirekten Steuern unterscheiden. Die ersteren, die taille und capitation, standen unter Königlicher Verwaltung, die indirekten, aides, gabelles u. s. w. waren verpachtet. Zum Zweck der Erhebung der taille war das Land in généralités geteilt, an deren Spitze die Intendanten standen. Am Anfang des Jahres verteilte der contrôleur général in dem conseil des finances die zu erhebende Steuersumme auf die einzelnen Generalitäten. Der Intendant verteilte dann wieder die Steuersumme seiner Generalität auf deren Bezirke, die élections. Ursprünglich war nämlich die Krone bei der Erhebung der taille an die Zustimmung der Stände gebunden, die zur Mitwirkung dabei für das ganze Land généraux ernannten, für die einzelnen Bezirke Vertrauensmänner, élus, bestellten. Diese élus wurden später Königliche Beamte. Das Kollegium der élus in jeder élection verteilte nun die ihm zugewiesene Summe auf die einzelnen Kirchspiele. Gegen diese Verteilung war Rekurs an den Intendanten zulässig. In den Kirchspielen mussten die wohlhabendsten Einwohner, häufig von den Gemeindegenossen gewählt, die Steuern auf die einzelnen verteilen und einziehen. Sie hafteten zugleich mit ihrem Vermögen und Körper dafür. Alle Reklamationen der einzelnen gegen die Höhe der Steuer, oder Anfechtungen wegen Doppelbesteuerung in zwei Orten, oder Klagen, weil ein Anspruch auf Steuerfreiheit wegen eines Amtes oder einer Exemption erhoben wurde, gingen an die Kollegien der élus.197) Auch Ansprüche wegen indirekter Steuern waren hier zu entscheiden. Über den élus standen als Appellationsgerichte die cours des aides, 198) ebenfalls souverän,

195) Brewer II 105. 196) Foucault, introd. 58. 197) Brewer II 356.

198) Rousset, impôts 13.

d. h. in letzter Instanz urteilend. Auch hier waren die Stellen erblich. Die gröfste cour des aides war die von Paris mit zehn Präsidenten und 52 Räten; andere gab es in Montpellier, Bordeaux, Clermont, Montauban. Öfter waren sie mit den Parlamenten oder den chambres des comptes vereinigt. Die Einnahmen aus der taille wurden von den collecteurs an receveurs particuliers, von diesen an die receveurs généraux in den Generalitäten, von diesen an die beiden trésoriers généraux, die abwechselnd fungierten, in Paris abgeliefert. Alle die se Stellen waren käuflich. Natürlich suchten die Inhaber der Ämter möglichst viel herauszuschlagen. Sie mussten zwar alles, was sie einnahmen, an die Regierung abliefern, hatten aber einmal Anrecht an einen gewissen Procentsatz des Einkommenden und, da sie erst nach gewissen Fristen abliefern brauchten, waren häufig grofse Summen in ihren Händen, die sie inzwischen zu Spekulationen benutzten. Häufig gewährten die receveurs auch der Regierung Vorschüsse, manchmal auf Jahre hinaus, zu sehr hohen Zinsen.

Die indirekten Steuern, aufserordentlich verschiedenartig in den verschiedenen Provinzen und der Art ihrer Erhebung nach, wurden verpachtet. Es gab 15 fermes générales, 12 fermes particulières, doch konnten mehrere zusammen verpachtet werden, 199) manchmal alle an einen Generalpächter. Zugelassen zur Pacht waren alle zahlungsfähigen Katholiken.200) Die Pächter stellten ihre Einnehmer auf eigene Hand an, mufsten aber der Regierung ein Verzeichnis derselben einreichen. Der Gewinn der Pächter war sehr grofs. Man berechnet, dafs 36 Millionen einkamen, die Kosten der Verwaltung betrugen 9 Millionen, 19 Millionen bekam die Regierung, bleiben 8 Millionen Reingewinn für die Pächter.201) Daher das glänzende Auftreten der Generalpächter, aber auch der Hafs, den sie sich zuzogen. Ihre Kinder, namentlich die Töchter, heirateten Mitglieder der höchsten Aristokratie.202)

Das Rechnungswesen war an die chambres des comptes übertragen, die alle Rechnungen zu registrieren hatten. Alle, die Staatsgelder zu verwalten hatten, mussten dem Hof Rechnung ablegen, der daher auch Strafen wegen nicht ordnungsmässiger Rechnungsablegung und Unterschlagung zu verhängen hatte. Solche chambres des comptes gab es in Paris, Dijon, Grenoble, Nantes, Blois; die chambres des comptes in Aix, Montpellier, Rouen, Dôle waren mit den cours des aides der betreffenden Provinzen vereinigt; die von Pau und Metz mit Parlament und cour des aides. Auch die chambres des comptes waren cours souveraines und standen in hohem Ansehen. Die Stellen waren erblich und standen hoch im Preise.203) In Paris gab es 13 Präsidenten, 78 maîtres des comptes semestriels, 38 conseillers correcteurs (Revisoren), 82 auditeurs.204)

Das Geldwesen war meist den Privaten überlassen. Die Münzen wurden bald in eigener Regie des Staates geprägt, bald wurde das Münzrecht in Pacht gegeben.205) Es gab zur Aburteilung aller Münzvergehen, zugleich für alle Gold- und Silberarbeiter, Wechsler, u. dgl. angehenden Prozesse in letzter Instanz eine cour des monnaies in Paris mit 7 Präsidenten, 30 Räten u. s. w.206) 1714 wurde eine in Lyon eingesetzt, die aber später aufgehoben wurde. Sahen wir oben, dafs die theoretisch von dem König geforderte Heiligkeit und Weisheit bei Ludwig nicht vorhanden war, so hat uns vorstehender Überblick über die Verwal200) Toutes les personnes solvables et munies de bonnes cautions (Joubleau I 149). 201) Joubleau I 80. 202) Janzé p. 26 u. 288. 203) Ein Präsident in Paris zahlte 400 000 livres, in der Provinz 200 000, ein maître des comptes 120 000. 204) Brewer II 402. 205) cf. im einzelnen Clément 1 c. 14. 206) Brewer II 443.

199) Clément, Colbert 1 215.

tung vielleicht gezeigt, dafs auch die Macht des Königs im Innern nicht so grofs war, wie es auf den ersten Anblick scheint. Darf man daher das absolute Regiment, wie es neuerdings öfter geschehen ist, daher wirklich für die Lage Frankreichs, wie sie am Ende der Regierung Ludwigs war, in dem Mafse verantwortlich machen?

Sehen wir uns diese Lage an. Nach aufsen hatte Ludwig einen langen Krieg gegen ganz Europa ausgehalten, ja, so verzweifelt seine Lage schien, nach der glorreichen Niederlage bei Malplaquet noch einen verhältnismäfsig günstigen Frieden erreicht. Der Hof war, wenn auch nicht mehr so glänzend, wie in den Zeiten der Jugend des Königs, doch immer noch von zahlreichen Vornehmen besucht und öfters trat er noch in dem alten Pompe auf. Die Bürger der guten Stadt Paris, die hohen Beamten hatten ein auskömmliches und behagliches, durch Kunst und Wissenschaft verschönertes Leben.207) Um so schlimmer sah es im Lande aus. Die unsinnige Art der Steuererhebung, namentlich der taille, ruinierte die collecteurs (s. o.), die haftbar waren, und die Bauern. Seit den Zeiten der sinkenden Römerherrschaft war der Druck nicht so furchtbar gewesen. Kam es doch vor, dafs das Blei in den Fenstern genommen oder das Dach abgedeckt wurde, um rückständige Steuern einzutreiben. Daneben wurde durch hohe Abgaben, von allem, was Gewinn bringen konnte, erreicht, dafs das Streben, weiterzukommen, aufhörte.208) Getreidehandel und Weinhandel waren mit vielfachen Abgaben belastet.209) Aufserdem gab es zahlreiche Zollstätten, des Königs, der Bischöfe, der Städte, der Seigneurs, an denen für jede vorbeigeführte Waare gezahlt werden musste.210) So wuchs denn das Elend der unteren Volksklassen in erschreckender Weise. Schon 1679 gingen die Steuern schlecht ein, die folgenden Kriege machen das Elend noch gröfser. Man berechnete, dafs in der généralité Rouen von 700000 Einwohnern nur 50000 ihr auskömmliches Brod hatten. Die Bevölkerung von Frankreich nahm zusehends ab, das Kulturland verringerte sich. Schaaren von Armen strömten nach den Städten, viele kamen auf den Landstrafsen um, man erzählte sich Schreckensgeschichten, wie, dafs ein Vater, der seinen Kindern kein Brod mehr schaffen konnte, sich erhängt habe, dafs Kinder sich angefressen hätten u. dgl. Besonders der Winter von 1708 auf 1709 war der furchtbarste, den Frankreich erlebt hat. Man gab an, dafs in Touraine von 500 Einwohnern 400 Bettler seien, in einem Dorf mit 400 Feuerstellen gab es nur drei Einwohner.212) Die Not war so grofs, dafs der Marschall Berwick, um seine Truppen nur nähren zu können, das Geld aus den öffentlichen Kassen nahm.213) Das war die Kehrseite der Medaille, auf deren andrer Seite der Ruhm Frankreichs nach aufsen so prächtig erschien.

Ludwig XIV. selbst war an diesen Zuständen nun wohl nicht in dem Sinne schuld, dafs er sie mit Absicht herbeigeführt hätte. Er war nicht grausam, er war wohl auch des Mitleids fähig, aber er besafs nicht die Energie, die nötig gewesen wäre, in dem damaligen

207) Selbst 1709 wurden die Oper und andere divertissements eifrig besucht. (Clément polic. 354). 208) Der Bauer mufste von seinem Getreide, von zwölf Garben etwa, sechs auf die Kosten rechnen, der König bekam 11/5, der Seigneur und der Geistliche ebensoviel. Was dem Bauer blieb, brauchte er gerade zu seinem Unterhalt; hatte er etwas zum Verkauf übrig, so war derselbe wieder so erschwert durch Zölle, schlechte Wege, dafs er nicht lohnte (Leymarie 580). 209) Jedesmal mufsten 5% vom voraussichtlichen Verkaufspreis gezahlt werden. Dann aber mufste der Kleinkaufmann auch wieder zahlen. (Stourm I 327). 210) In Nevers mufste man an fünf Stellen zahlen, für den duc de Nevers, für zwei andere seigneurs, für die Stadt, für den Bischof. (Stourm I c. 17). Es gab 1600 péages, Zollstätten des Königs (Jobez I 254). 211) Orléans CVII. 83. 107. 212) Clément, pol. 351. 213) Chéruel II ch. 15.

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