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Gleich nach den Februar-Tagen hatte es überall zu gähren angefangen, auch in Berlin. Man hatte hier die alte Wirtschaft satt. Nicht dass man sonderlich unter ihr gelitten hätte, nein, das war es nicht, aber man schämte sich ihrer. Aufs Politische hin angesehen, war in unserem gesamten Leben alles antiquirt und dabei wurden noch Anstrengungen gemacht, allerlei noch viel weiter zurückliegende Dinge heranzuholen und neu zu beleben und all dies Gerümpel unter der Vorgabe, wahrer Freiheit und gesundem Fortschritt dienen zu wollen, mit einer Art Heiligenschein zu umgeben. Immer wurde dabei auf das "Land der Erbweisheit und der historischen Continuität" verwiesen, wobei man nur über eine Kleinigkeit hinwegsah. In England hatte es immer eine Freiheit gegeben, in Preussen nie; England war in der Magna-Charta-Zeit aufgebaut worden, Preussen in der Zeit des blühendsten Absolutismus, in der Zeit Ludwigs XIV., Karls XII. und Peters des Grossen. Vor dieser Zeit staatlicher Gründung, beziehungsweise Zusammenfassung, hatten in den einzelnen Provinzen allerdings mittelalterlich ständische Verfassungen existirt, auf die man jetzt, vielleicht unter Einschiebung einiger Magnificenzen, zurückgreifen wollte. Das war dann, so hiess es, etwas "historisch Begründetes," viel besser als eine "Constitution," von der es nach königlichem Ausspruche feststand, dass sie was Lebloses sei, ein blosses Stück Papier. Alles berührte, wie wenn der Hof und die Personen, die den Hof umstanden, mindestens ein halbes Jahrhundert verschlafen hätten. Wiederherstellung und Erweiterung des "Ständischen," darum drehte sich alles. In den Provinzialhauptstädten, in denen sich, bis in die neuste Zeit hinein, ein Rest ständischen Lebens tatsächlich (aber freilich nur schattenhaft) fortgesetzt hatte, sollten, nach wie vor, die Vertreter des Adels, der Geistlichkeit, der städtischen und ländlichen Körperschaften tagen und bei bestimmten Gelegenheiten-das war die Neuerung-hatten dann Erwählte dieser Provinziallandtage zu einem grossen Vereinigten Landtag" in der Landeshauptstadt zusammenzutreten. Eine solche Vereinigung sämtlicher Provinzialstände konnte, nach Meinung der maassgebenden d. h. durch den Wunsch und Willen des Königs bestimmten Kreise bewilligt werden; in ihr sah man einerseits die Tradition gewahrt,

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andererseits (und das war die Hauptsache) dem Königtum seine Macht und sein Ansehen erhalten.

König Friedrich Wilhelm IV. lebte ganz in diesen Vorstellungen. Man kann zugeben, dass in der Sache Methode war, ja mehr, auch ein gut Stück Ehrlichkeit und Wolwollen und hätte die ganze Scene hundertunddreisssig Jahre früher gespielt-wobei man freilich von der unbequemen Gestalt Friedrich Wilhelms I. abzusehen hat, der wol nicht dafür zu haben gewesen wäre so hätte sich gegen ein solches Zusammenziehen der "Stände," die damals, wenn auch angekränkelt und eingeengt, doch noch bei Leben waren, nicht viel sagen lassen. Es gab unter Friedrich Wilhelm I. noch kein preussisches Volk. Unsere ostelbischen Provinzen, aus denen im Wesentlichen das ganze Land bestand, waren Ackerbauprovinzen und was in ihnen, neben Adel, Heer und Beamtenschaft, noch so umherkroch, etwa 4 Millionen Seelen ohne Seele, das zählte nicht mit. Aber von diesem absolutistisch patriarchalischen Zustand der Dinge war beim Regirungsantritt Friedrich Wilhelms IV. nichts mehr vorhanden.

Alles hatte sich von Grund aus geändert. Aus den 4 Millionen waren 24 Millionen geworden, und diese 24 Millionen waren keine misera plebs mehr, sondern freie Menschen (wenigstens innerlich) an denen die die Welt umgestaltenden Ideen der französischen Revolution nicht. spurlos vorübergegangen waren. Der ungeheure Fehler des so klugen und auf seine Art auch so aufrichtig freisinnigen Königs bestand darin, dass er diesen Wandel der Zeiten nicht begriff und einer vorgefassten Meinung zu Liebe, nur sein Ideal aber nicht die Ideale seines Volkes verwirklichen wollte. Friedrich Wilhelm IV. handelte, wie wenn er ein Professor gewesen wäre, dem es obgelegen hätte, zwischen dem ethischen Gehalt einer alten landständischen Verfassung und einer modernen Konstitution zu entscheiden und der nun in dem Alt-Ständischen einen grösseren Gehalt an Ethik gefunden. Aber auf solche Feststellungen kam es garnicht an. Eine Regirung hat nicht das Bessere, bez. das Beste zum Ausdruck zu bringen, sondern einzig und allein das, was die Besseren und Besten des Volkes zum Ausdruck gebracht zu sehen wünschen. Diesem Wunsche hat sie nachzugeben,

auch wenn sich darin ein Irrtum birgt. Ist die Regirung sehr stark-was sie aber in solchem Falle des Widerstandes gegen den Volkswillen fast nie ist-so kann sie, länger oder kürzer, ihren Weg gehen, sie wird aber, wenn der Widerstand andauert, schliesslich immer unterliegen. Die Schwäche der preussischen Regirung vom Schluss der Befreiungskriege bis zum Ausbruch des Schleswig-Holsteinischen Kriegs, bestand in dem beständigen sich Auflehnen gegen diesen einfachen Satz, dessen unumstössliche Wahrheit man nicht begreifen wollte. Wenn später Bismarck so phänomenale Triumphe feiern konnte, so geschah es, sein Genie in Ehren, vor allem dadurch, dass er seine stupende Kraft in den Dienst der in der deutschen Volksseele lebendigen Idee stellte. So wurde das Deutsche Reich aufgerichtet und nur so.

Es schien mir wünschenswert dies vorauszuschicken, ehe ich mich meiner eigentlichen Aufgabe, der Schilderung der März-Tage zuwende.

Bis zum 13. war nur eine gewisse Neugier bemerkbar, drin vorwiegend das bekannte witzelnde Wesen der Berliner zum Ausdruck kam; die Leute steckten die Köpfe zusammen und warteten auf das, was der Tag vielleicht bringen würde. Jeder mutete dem andern zu, die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Die Welt besteht nun mal nicht aus lauter Helden, und die bürgerliche Welt ist zu freiwilliger Uebernahme dieser Rolle besonders unlustig. Als aber die Nachrichten aus Wien eintrafen, fühlte man doch ein Unbehagen darüber, dass nichts. recht in Fluss kommen wollte. Selbst die Bourgeoisie nahm an diesem Empfinden teil. Die "Immer langsam voran's" waren uns zuvorgekommen, die "Holters," nein, das ging doch nicht. Ich wähle, mit gutem Vorbedacht, solche nüchtern prosaisch klingende Wendungen, da mir sehr wesentlich daran liegt, das, was geschah, keinen Augenblick als mehr erscheinen zu lassen, als es war, aber freilich auch nicht als weniger. Das mit einem Mal in der bürgerlichen Sphäre lebendig werdende Gefühl: "Ach was! wir wollen auch unsere Freiheit haben," war freilich nicht angetan eine Revolution zu machen, aber es unterstützte sie sehr stark, ja entscheidend, als sie schliesslich da war. Zwischen denen, die zuguterletzt

die Sache durchfochten und denen, die mehr oder weniger vergnügt bloss zusahen, war, mit Ausnahme des Couragepunktes, kein allzu grosser Unterschied.

Vom 13. bis 17. hatten kleine Strassenkravalle stattgefunden, alles sehr unbedeutend, nur anstrengend für die Truppen, die, weil beständig alarmirt, einen sehr schweren Dienst hatten. Am 18. früh (Sonnabend) war man in grosser Aufregung, und so weit die Bügerschaft in Betracht kam, freudiger als die Tage vorher gestimmt, weil sich die Nachricht "Alles sei bewilligt" in der Stadt verbreitet hatte. Wirklich, so war es. Der König hatte dem Andrängen der freisinnigen Minister, Bodelschwingh an der Spitze, nachgegeben und war, nachdem er den Wortlaut der den Wünschen des Volks entgegenkommenden Edikte verschiedenen, teils aus der Stadt teils aus den Provinzen (Rheinland) erschienenen Deputationen mitgeteilt hatte, auf dem Balkon des Schlosses erschienen und hier mit Vivats empfangen worden. Der Schlossplatz füllte sich immer mehr mit Menschen, was anfangs nicht auffiel, bald aber dem König ein Missbehagen einflösste, weshalb er zwischen eins und zwei Uhr dem an Stelle des Generals v. Pfuel mit dem Kommando der Truppen betrauten General v. Prittwitz den Befehl erteilte, die beständig anwachsende Menschenvom Schlossplatz wegzuschaffen. Diesem Befehle Folge gebend, holte General v. Prittwitz selbst die GardeDragoner herbei und ritt mit ihnen durch die Schlossfreiheit nach dem Schlossplatz. Hier liess er einschwenken, Front machen und im Schritt den Platz säubern. Da stürzte sich plötzlich die Masse den Dragonern entgegen, fiel ihnen in die Zügel und versuchte den einen oder den anderen vom Pferde zu reissen. In diesem für die Truppen bedrohlichen Augenblick brach aus dem mittleren und gleich darauf auch aus dem kleineren Schlossportal (mehr in Nähe der langen Brücke) eine Tirailleurlinie vor und seitens dieser fielen ein paar Schüsse. Fast unmittelbar darauf leerte sich der Platz, und die bis dahin vor dem Schloss angesammelte Volksmasse, drin Harmlose und nicht Harmlose ziemlich gleichmässig vertreten waren, zerstob in ihre Quartiere.

masse

Unter den Harmlosen, ja, ich darf wol hinzusetzen, mehr

als Harmlosen, die sofort davon stürzten, um ihre Person in Sicherheit zu bringen, befand sich auch mein Prinzipal. Er war ein guter Schütze, sogar Jadgdgrundinhaber in der Nähe von Berlin, aber "selbst angeschossen werden " war nicht sein Wunsch. Ich sehe noch sein bis zum Komischen verzweifeltes Gesicht, mit dem er bei uns eintraf und nach Erzählung des Hergangs sich dahin resolvirte : "Ja meine Herren, so was ist noch nicht dagewesen; das ist ja die reine Verhöhnung, alles versprechen und dann schiessen lassen und auf wen? auf uns, auf ganz reputirliche Leute, die Front machen und grüssen, wenn eine Prinzessin vorbeifährt und die prompt ihre Steuern bezahlen!" Es war auf dem Hausflur, dass diese Rede gehalten wurde. Wir standen drum herum und auch die vorzüglichsten Mieter des Hauses hatten sich eingefunden. Dies war ein eine Treppe hoch wohnendes Ehepaar, Kapellmeister St. Aubin und Frau vom Königstädtischen Theater, er ein kleines unbedeutendes Huzelmännchen, sie, wie die meisten. Französinnen von über vierzig, von einer gewissen Stattlichkeit und mit dem Bewusstsein dieser Stattlichkeit über ihr oberes Embonpoint wegsehend. Beide, wiewol halbe Fremde, nahmen doch Teil an der allgemeinen Aufregung. Der einzige fast nüchterne war ich. In einem gewissen ästhetischen Empfinden fand ich alles, was ich da eben über die Schlossplatzhergänge gehört hatte, so bourgeoishaft ledern, dass ich mich mehr zum Lachen als zur Empörung gestimmt fühlte. Das war aber nur von kurzer Dauer. Als ich gleich danach auf die Strasse trat und die Menschen, wie verstört an mir vorüber stürzen sah, wurde mir doch anders zu Sinn. Am meisten Eindruck machten die auf mich, die nicht eigentlich verstört, aber dafür ernst und entschlossen aussahen, als ging' es nun an die Arbeit. Ich hielt mich von da ab abseits von meinen Kollegen, die ganz stumpfsinnig da standen oder sich an Berliner Witzen aufrichteten, während ich ganz im Stillen meine Winkelriedgefühle hatte. Dass ich in Taten sehr hinter diesen Gefühlen zurückblieb, sei hier gleich vorweg ausgesprochen.

Draussen hatte sich das Bild rasch verändert. Die Strasse wirkte wie gefegt und nur an den Ecken war man mit Barrikadenbau beschäftigt, zu welchem Zweck alle herankommenden Wagen und Droschken angehalten und umgestülpt

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