Imágenes de páginas
PDF
EPUB

nicht gegen den guten Bürger, dem zu Liebe ja, halb wirklich, halb vorgeblich, die ganze Scene durchgespielt werden soll. Eine Zeit lang hält eine gute Truppe trotz aller dieser Schwierigkeiten aus, zuletzt aber sind's Menschen, und abgehetzt und matt und müde geworden, versagt zuletzt die beste Kraft und der treuste Wille. Dazu kommt noch, dass auch Schlagwörter, plötzlich heraufbeschworene Vorstellungen, Imponderabilien über die hinterher leicht Lachen ist, mit einem Male eine halb unerklärliche Macht gewinnen. So, um ein Beispiel zu geben, glaub ich zu wissen, dass für bestimmte kleinere Truppenteile plötzlich der Schreckensruf da war: "Die Bürger kommen."

Es waren Kompagnien, die sich, wenige Wochen später, ganz besonders und allen andern vorauf in ernsten Kämpfen ausgezeichnet haben. Jetzt erscheint uns dieser Schrei: "Die Bürger kommen," als der Inbegriff alles Komischen, damals, auf knappe 24 Stunden umschloss er eine Macht. Immer dieselbe Geschichte: wenn der Morgen anbricht, sieht man, dass es ein Handtuch war, aber in der Nacht hat man sich gegrault. Die Tapfersten haben mir solche Zugeständnisse gemacht. Nur der Feigling ist immer ein Held. So lag es sehr wahrscheinlich auch am 18. März, und als General v. Prittwitz gegen den König die Worte aussprach: "Heute und Morgen und auch noch einen Tag glaube ich die Sache halten zu können," da waren wol bereits die ersten Anzeichen eines solchen Versagens da. So wird es immer sein, weil es wenn man nicht gleich im ersten Augenblick, wie beispielsweise am 2. Dezember, mit vernichtender und bei patriarchalischem Regiment überhaupt nicht zulässiger Gewalt vorgehen willnicht anders sein kann. Und auch dann hat es nicht Dauer. Auflehnungen, ich muss es wiederholen, die mehr sind als ein frech vom Zaun gebrochenes Spiel, tragen die Gewähr des Sieges in sich, wenn nicht heute, so morgen. Alle gesunden Gedanken leben sich eben aus, und hier die richtige Diagnose stellen, das heisst Regente sein.

THEODOR FONTANE.

JAHRHUNDERTS-ENDE

VOR HUNDERT JAHREN UND JETZT.

WIR leben in einem Zeitalter, das man nicht eben als ein behagliches zu betrachten pflegt, noch auch so betrachten kann. Unzufriedenheit mit der Gegenwart, Misstrauen in die Zukunft ist die Losung: die Orthodoxen so gut wie die Liberalen und die Gleichgiltigen, die Verteidiger der Monarchie und der kapitalistischen Ordnung, wie die Sozialdemokraten und die Anarchisten, so wirr auch sonst ihre Klagen und Anklagen durch einander tönen mögen, darin stimmen sie doch überein, dass es keine Zeit gab so voll von Verwirrung und Zersetzung wie die von heute. Alltäglich liest und hört man es, dass eine Revolution vor der Tür stehe, eine Umwälzung nicht bloss des Staates, sondern der Gesellschaft und der Nationen, aller Lebensgewohnheiten eine Umschmelzung aller überlieferten Vorstellungen von Recht und Sitte, der moralischen und der religiösen Begriffe ; eine neue Religion prophezeien die Einen, den baldigen Sieg der atheistischen und materialistischen Weltanschauung die Andern, während die Anhänger des alten Glaubens nur um so starrer auf allen Sätzen und Ansprüchen ihrer Kirche stehen bleiben, je höllengleicher auch sie die Zukunft, Feind und Freund gegenüber, auszumalen lieben.

Um so seltsamer berührt diese Fin-de-Siècle-Stimmung, je mehr wir uns kultureller Errungenschaften rühmen können, je grösser die Güter, je stärker der Staat, je reger der Anteil der Massen am politischen Leben, und je besser ihre soziale Lage geworden ist und welches Jahrhundert könnte sich in alledem mit dem der Naturwissenschaften und des allgemeinen

Stimmrechtes messen ! Aber wenn zum Glück vor Allem Zufriedenheit und Behagen gehören, so haben alle Reichtümer und Rechte es nicht herbeibringen können; sie haben uns nur den alten Frieden genommen und machen uns täglich nervöser. Wol ist oft genug gesagt worden, und nicht mit Unrecht, dass solche Klagen uralt seien; und noch vor Kurzem hat ein geistreicher Opponent gegen den landläufigen Pessimismus Zeugnisse aus allen Generationen vereinigt, von den jammernden Leitartikeln der Kreuz-Zeitung bis zurück zu dem seligen Nestor, der mit seinen und seiner Jugendfreunde Heldentaten vor Ajax und Achilles zu renommiren pflegte, zum Beweise, dass die "gute alte Zeit" jeder Gegenwart als das entschwundene Ideal vorgeschwebt habe.* Immerhin aber lässt sich doch kaum leugnen, dass es Generationen gab, welche vergnüglicher über sich und ihre Zukunft dachten als wir, und die in dem behaglichen Bewusstsein lebten, dass die Vergangenheit überwunden und das Leben lebens- und liebenswert sei, dass die Gesellschaft wol geordnet oder doch leicht zu wandeln sei, dass also Gegenwart und Zukunft in ihrer Hand ruhten. Und wir brauchen nicht weit in die Vergangenheit zurückzugehen, um eine solche Zeit zu finden; sie liegt nicht viel über hundert Jahre hinter uns. Wol gab es auch damals Unzufriedene genug Stürmer und Dränger, gescheiterte Existenzen und revolutionäre Geister, ein Gähren und Brausen in den Gemütern, wie immer in hoch bewegten Zeiten: aber im Ganzen, und vor Allem gegen den heutigen Tag gehalten, ging es doch wie Frühlingsahnen durch die Welt. Ein Geschlecht war es voll von Selbstgefallen und Optimismus, eine Epoche idealistischen Aufwärtsstrebens, einer Annäherung zwischen den Gebildeten aller Nationen und Bekenntnisse, also dass die allen Religionen gemeinsamen Beziehungen aufgesucht, die Differenzen verwischt, die Eigentümlichkeiten einer jeden verachtet und Ideale gefunden wurden, welche über Zeiten und Nationen hinausreichten. Das Zeitalter war es der "goldenen Humanität," des Weltbürgertums, einer Philosophie, welche kühnen Mutes die Tiefen der Erkenntnis für die menschliche Vernunft erreichbar glaubte, und einer Theologie, welche im brüderlichen Vertrauen zu den Philosophen die Hans Delbrück in dem Essay "Die gute alte Zeit," Preuss. Jahrḥ, LXXI, 1 ff.

*

Geheimnisse Gottes, unbeengt durch die Mysterien des Bekenntnisses, mit der Kraft ihrer Spekulation entschleiern zu können wähnte. Mit einem Gemisch von Wolwollen und Verachtung sahen die Gebildeten jener Tage, die ihren Gottesbegriff aller dogmatischen Färbung und Bestimmtheit entkleidet und ihn mit ihren Idealen der Milde und Weisheit, Gesetzlichkeit und Vernunft ausgestattet hatten, auf die Reformatoren des 16. Jahrhunderts herab. Dass Luther und Calvin eine "Glaubensverbesserung" bewirkt und der vernünftigen Gottesverehrung den Weg gebahnt hätten, räumten auch wol Katholiken, Geistliche wie Laien, gern ein; aber ebenso sehr betonten die Protestanten, dass man jetzt über die alten Differenzen, über den Zank der Confessionen und Sekten hinaus sei, dass nur Priestertrug, Aberglaube und Fanatismus sinnlose und grausame Kriege erweckt und mit dem Glücke der Völker gespielt hätten und von beiden Seiten gab man sich das Wort, dass die Welt von nun ab davon verschont bleiben, das Zeitalter der Vernunft, des allgemeinen Friedens und der Duldung heraufgeführt werden solle. Alle unsere Klassiker sind die Propheten und Prediger dieser Weltanschauung gewesen, und Niemand hat das Lob seiner Zeit begeisterter verkündet als der edelste ihrer Söhne, er dem Urania die höchste Muse war, Schiller in der unsterblichen Strophe seines Liedes an die Künstler, da er den Menschen preist, der mit dem Palmenzweige in edler, stolzer Männlichkeit an des Jahrhunderts Neige stehe :

Mit aufgeschlossnem Sinn, mit Geistesfülle,
Voll milden Ernsts, in tatenreicher Stille,

Der reifste Sohn der Zeit,

Frei durch Vernunft, stark durch Gesetze,

Durch Sanftmut gross und reich durch Schätze,
Die lange Zeit dein Busen dir verschwieg;

Herr der Natur, die deine Fesseln liebet,

Die deine Kraft in tausend Kämpfen übet

Und prangend unter dir aus der Verwildrung stieg. Schiller schrieb diese Verse 1788; sie erschienen im "Deutschen Merkur" von 1789, dem Jahre der französischen Revolution.

Dies Ereignis bedeutete aber der Zeit nicht den Bruch mit ihren Idealen, sondern deren Vollendung. Heute hält es chwer, sich die Stimmung des Entzückens und des Jubels NO. X. (VOL. IV.)

18

zurückzurufen, mit der das gebildete Europa die Reden und Gesetze begrüsst hat, die in den Boden des alten Frankreichs gesenkt Saaten des Blutes und Entsetzens werden sollten. Wer konnte friedfertiger und humaner gesinnt sein als Joachim Heinrich Campe, der ehrsamste aller deutschen Philister? Als er von den Vorgängen in Paris und Versailles vernahm, litt es ihn nicht in seinem Braunschweigischen "Vaterlande." Er eilte hin zur Seine, um den rührenden Sieg der Menschheit "über den Despotismus anzusehen und ihn feiern zu helfen." Schon in Aachen hörte er, dass ganz Paris unter den Waffen und die Bastille erobert sei. Er hätte keiner Fliege ein Leids antun mögen: aber die Nachricht von den Bluttaten, welche der feige und mordgierige Pöbel von Paris an Foulon und Flesselles und an den Invaliden de Launays begangen hatte, machte auf den empfindsamen Deutschen so wenig Eindruck wie auf Barnave und Robespierre. "Die Köpfe der aristokratischen Tyrannen," schreibt er an seine Tochter, die "liebe Lotte," "sollen wie Mohnköpfe fliegen, und die königlichen Truppen das Hasenpanier ergriffen haben. Freue dich, liebe Lotte; vier und zwanzig Millionen Sklaven werden das Joch der Unterdrückung mutig abschütteln und aus gemisshandelten Lasttieren Menschen werden. Wol uns, dass wir diese grosse Weltbegebenheit erlebt haben!" Diese Stimmung verlässt ihn nicht, nachdem er am Schauplatz der Revolution angekommen und Zeuge der Debatten über die Menschenrechte, der Beschlüsse in der Nacht des 4. August geworden ist. Er bemerkt garnicht, wie die Zerstörung täglich neue Trümmer schafft und die Nation schon von den Schauern der Anarchie geschüttelt wird: blind wie alle Andern taumelt er in dem allgemeinen Entzücken über die neue Weltära dahin.

Er selbst und sein Reisegefährte kein geringerer als Wilhelm von Humboldt - haben an ihrer Ueberzeugung von dem Segen der Revolution auch dann noch festgehalten, als ihr zerstörender Lauf längst die deutschen Grenzen überschritten hatte. Aber im Allgemeinen veränderte sich das Urteil der Zeitgenossen in dem letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts vor den sich häufenden Gräueln von Grund aus: Männer wie Mallet du Pan und Burke, Gentz und Joseph de Maistre, die

« AnteriorContinuar »