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François de

MALHERBE

Litterarhistorische Skizze.

Der hohen philosophischen Facultät der Ruprecht-
Carls-Universität zur Erlangung der venia docendi

vorgelegt

von

E. Laur,

Dr. philos. et utr. juris.

Heidelberg. 1869.

I.

Lessing macht in der hamburgischen Dramaturgie, wo eine Aufführung der Merope Voltaires besprochen wird, dem Verfasser einen Vorwurf daraus, dass jener, in seinem Schreiben an Maffei, den Dichter des italienischen Stückes tröstet mit der Bemerkung: „des Marquis Fehler seien die Fehler seiner Nation und die Fehler einer ganzen Nation seien eigentlich keine Fehler, weil es ja eben nicht darauf ankomme, was an und für sich gut oder schlecht sei, sondern was die Nation dafür wolle gelten lassen."

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Trotzdem hat Voltaire im Allgemeinen Recht. Jeder Künstler schafft zunächst für die eigene Nation, deren unabtrennbares Glied er ist, deren Hauptcharakter er in sich trägt. Die Helden Homers sind Griechen, englisches 1a) Blut fliesst in den Adern shakespearischer Gestalten, wie aus den Zügen der Madonnen Murillos spanische Glut leuchtet. Freilich über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus wirkt der Künstler nur, so weit die von ihm hingestellten Individuen zugleich dem Menschlichen im höheren Sinne nahe kommen. Doch dergleichen Genies sind selten

Laur, Malherbe.

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in der Geschichte der Kunst. Mit dem für sie passenden Maasstabe darf die Bedeutung der grossen Zahl tüchtiger Talente eben so wenig gemessen werden, wie einzelne hervorragende Berggipfel als entscheidend gelten bei Angabe der Erhebung einer Plateaulandschaft über die Meeresfläche. 2) Namentlich bei Beurtheilung litterarischer Werke ist der nationale Standpunkt von durchgreifender Bedeutung. Wie sollte auch die grosse Masse eines Volkes von den Leistungen eines Fremden in dessen Vaterlande eine genü3) gende Kenntniss erhalten?,,Jede Nation hat Eigenthümlichkeiten, wodurch sie von der andern unterschieden wird, und diese sind es auch, wodurch die Nationen sich unter einander getrennt, sich angezogen oder abgestossen fühlen. Die Aeusserlichkeiten dieser innern Eigenthümlichkeit kommen der andern meist auffallend widerwärtig und, im leidlichsten Sinne, lächerlich vor. Diese sind es auch, warum wir eine Nation immer weniger achten, als sie es verdient." Das Uebertragen fremder Arbeiten in die eigene Sprache kann diesem Mangel nicht vollständig ab4) helfen.,,Übersetzen ist übersetzen, traducere navem. wer nun zur seefahrt aufgelegt, ein schif bemannen und mit vollem Segel an das gestade jenseits führen kann, musz dennoch landen, wo andrer boden ist und andre luft streicht." Und selbst diejenigen, welche die Originale ohne Schwierigkeit lesen können, vermögen nicht allzuoft über den eigenen Schatten zu springen, in den Geist der fremden Nation einzudringen, mit ihr zu empfinden, ihr nachzufühlen. Nicht nur Lessings klassischer Geschmack hat mit unerbittlichem Scharfsinne den Königen unter den französischen Dichtern die Krone wegdisputirt, auch 5) Schiller begreift nicht den,,Grossen Corneille" und findet sogar dessen Sprache im höchsten Grade man

gelhaft da, wo in Rodogune, Polyeucte - die Landsleute des Poeten der Normandie xar' §ox in Begeisterung gerathen. Ebenso gesteht J. Grimm in einem 6) Schreiben an Jules Michelet:,,dois-je vous répéter un aveu que nous faisons communément en Allemagne? j'ai souvent ouvert, avec la meilleure volonté du monde, Corneille, Racine et Boileau, et je sens tout ce qu'ils ont de talent, mais je ne puis en soutenir la lecture, et il me paraît évident qu'une partie des sentiments les plus profonds qu'éveille la poésie, est restée lettre close pour ces auteurs.“

Jenseits des Rheins herrscht über diese Thatsache heutzutage kein Zweifel mehr. Die Franzosen legen hohen Werth auf das Urtheil der Deutschen, sie bemühen sich uns verständlich und begreiflich zu werden. Es genügt ihnen nicht zu hören: „le génie des races s'y oppose!" 7) Und es ist ihnen hierin vollständig beizustimmen. Ein Anderes scheint, die Bedeutung eines Schriftstellers für 8) sein Volk erkennen, und wieder ein Anderes, an dessen Dichtungen Freude finden, von ihnen erhoben oder gerührt werden. Dieses lässt sich durch das eingehendste Studium nicht erreichen, aber jenes kann auch dem Fremden bei einigermaassen genügender Darstellung erschlossen werden.

Hierzu einen geringen Beitrag liefern zu wollen mag sich rechtfertigen durch die Thatsachen, dass bei uns für das Verständniss, namentlich der Anfänge, der modernen Litteratur der Franzosen kaum hier und da einzelne und überdies wenig tiefgreifende Bemerkungen sich auffinden lassen, obgleich dort der Keim zu suchen ist für die Entwickelung der französischen zur allgemeinen Weltsprache.

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