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des Verfassers.

an beklagt sich beständig über die Menge der Regeln; sie sehen den Verfasser, welcher schreiben, und den Liebhaber, welcher urtheilen, will, in eine gleiche Verwirrung. Ich bin gar nicht gesonnen, die Anzahl derselben durch diese Schrift zu vermehren. Ich habe vielmehr ei nen ganz entgegen gesezten Endzweck; ich will nämlich die Last leichter, und den Weg eben machen.

Die Regeln haben sich durch die Beobach tungen vervielfältigt, welche über Werke angestellt worden sind. Sie müssen dadurch wies der einfacher werden, daß man eben diese Bes obachtungen auf allgemeine Grundfäße zurückz leitet. Wir wollen die Naturkündiger nachahmen, die es wirklich sind. Sie sammeln Erfahrungen, und gründen hernach ein Lehrgebäude darauf, das dieselben in Grundsätze zusammen faßt.

Wir besigen einen großen Reichthum von Beobachtungen. Dieser ist ein Schaß, der seit dem Ursprunge der Künste bis auf uns von Tage zu Tage angewachsen ist. Aber dieser so reiche Schaß dient mehr, uns zu fesseln, als uns

zu nügen. Man liest, man sinnt nach, man will wissen, und alles entwischt uns, weil es eis ne unendliche Anzahl von Theilen giebt, die nicht im geringsten unter einander verbunden find, und daher, statt sich zu einem regelmåßigen Körper zu bilden, nichts, als einen unförm lichen Klumpen, ausmachen.

Alle Regeln sind Zweige, die aus einem einzigen Stamme sproßen. Gienge man bis zu ihrer Avelle zurück, so würde man einen Grundfah antreffen, der einfach und unversteckt genug wäre,daß man ihn augenblicklich entDecken könnte, und weitläuftig genug, daß sich alle die kleinen besonderern Regeln darein ver lieren würden, welche man bloß vermittelst des Gefühls zu kennen braucht, und deren Theorie zu nichts hilft, als daß sie den Geist fesselt, ohne ihn zu erleuchten. An diesen Grundsat würden sich nunmehr alle diejenigen, die ein wirkliches Genie * zu den Künsten haben, festhalten können; er würde sie von tausend eiteln Zweifeln befreyen, und sie bloß einem einzigen unumschränkten Geseze unterwerfen, welches, fo bald es einmal wohl begriffen worden wäre,

Der

Unfrer Sprache fehlt ein Wort, welches dieses französische Kunstwort auszudrücken fähig wåre.' Wollte man ein neues dazu erfinden, so würde man entweder Gefahr laufen, unverständlich zu werden, oder eines zu wählen, das den Begriff

der Grund, die Bestimmung, und die Auslegung aller andern seyn würde.

Ich würde mich für sehr glücklich schäßen, wenn ich in dem gegenwärtigen kleinen Werke, bey dem ich anfangs nur die Absicht gehabt, meis ne eignen Begriffe deutlicher zu machen, dieses Vorhaben nur aus dem Gröbsten ausgearbeitet hätte. Die Dichtkunst hat es eigent lich veranlaßt.

Ich hatte die Poeten auf die gewöhnliche Art, nämlich in den Ausgaben durchstudiert, wo sie mit Anmerkungen versehen sind. Ich glaubte, nun in diesem Theile der schönen Wif senschaft Unterricht genug zu haben, daß ich oh ne Anstand zu andern Materien übergehen könnte. Ich glaubte aber, daß ich, ehe ich mir einen andern Gegenstand wählte, die Kennt niß, die ich mir erworben, in Ordnung brin gen, und mir selbst Rechenschaft geben müßte.

Damit ich mit einem deutlichen und bestimmten Begriffe den Anfang machen möchte, frag te ich mich selbst; was denn die Poesie wäre, X4

und

nicht erschöpfte. Jeder, der nur einige Kenntniß in den schönen Wiffenschaften hat, weis, was er bey dem Worte Genie denken soll. Warum solls ten wir Bedenken tragen, Kunstwörter aus einer Sprache, die uns in den schönen Künsten vorges arbeitet hat, in die unfrige herüber zunehmen?

und was sie von der ungebundnen Schreibart unterschiede?

Ich hielt die Antwort darauf für etwas, das wenig Mühe kostete, denn dieser Unterschied läßt sich so leicht empfinden. Aber es war mir nicht genug, daß ich ihn empfände; ich verlang te eine genaue Erklärung.

Nunmehr sah ich ein, daß mich bey meinen Urtheilen über die Schriftsteller, mehr ein ges wisses blindes Gefühl, als die Vernunft, geleis tet hätte. Ich bemerkte, was für Gefahren ich mich ausgesetzt, und in was für Irrthümer ich darüber håtte fallen können, daß ich die Einsicht des Verstandes mit der Empfindung nicht verbunden.

Ich machte mir um so vielmehr Vorwürfe darüber, da ich mir einbildete, daß diese Einsicht und diese Grundfäße in allen denen Werken anzutreffen seyn müßte, in welchen von der Dichtkunst geredet wird; und daß ich sie taus fendmal bemerken müssen, wenn ich diese Wers te nicht mit Zerstreuung gelesen hätte. Ich keh re auf meinem Wege zurück; ich öffne das Buch des Herrn Rollins; ich finde in dem Abschnitte von der Poesie, eine sehr vernünftige Abhandlung über ihren Ursprung und ihre Beftimmung, welche ganz auf den Nußen der Tu gend abzielen muß. Die schönsten Stellen Homers werden darinnen angeführt; es wird der richtigste Begriff von der erhabnen Poesie

der

der heiligen Schrift darinnen gegeben; doch ich begehrte eine Erklärung.

Wir wollen zu den Dacieren, den le Bossü, den Aubignacen unsre Zuflucht nehmen; wir wollen die Anmerkungen, die Betrachtungen, die Abhandlungen der berühmtesten Schrift steller zu Rathe ziehen. Aber überall findet man nichts als Begriffe, die den Antworten der Orakel ähnlich sind; obfcuris vera inuoluens. Man redet von göttlichem Feuer, von Begei ferung, von Entzückungen, von glücklichen Ra ferenen; lauter große Worte, die das Ohr in Erstaunen sehen, und dem Verstande nichts fagen.

Weil ich es nicht wagte, mich ohne Hülfe in eine Materie einzulassen, welche, in der Nähe betrachtet, so dunkel scheint; so gerieth ich nach so vielen vergeblichen Untersuchungen auf den Einfall, den Ariftoteles aufzuschlagen, deffen. Dichtkunst ich hatte rühmen hören. Ich glaubte, daß ihn alle Meister der Kunst zu Rathe ges zogen und ihm nachgearbeitet hätten. Verschiedne hatten ihn nicht einmal gelesen, und bis auf einige Ausleger hatte fast niemand et was daraus entlehnt. Doch da diese weiter kein Lehrgebäude aufgeführt, als in so fern sie es zu einer ohngefähren Aufklärung des Terres nöthig gehabt, so leiteten sie mich bloß auf eini ge Spuren zu Begriffen; und diese Begriffe waren so trube, so eingehüllt, so dunkel, daß ich beynahe verzweifelte, irgendwo die genau

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