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STUDIEN

ZUR MITTELNIEDERDEUTSCHEN PARASITOLOGIE

VON

Baron D FELIX von OEFELE

(BAD NEUENAHR IN RHEINPREUSSEN).

BELEGQUELLEN FÜR MITTELNIEDER DEUTSCHE PARASITOlogie.

Was die alten Aegypter in Parasitologie gewusst, geglaubt und phantasiert haben, habe ich für die Ectoparasiten zusammengestellt. Die Entoparasiten der alten Aegypter sollen folgen. Unsere modernen wissenschaftlichen Anschauungen haben sich aber im Verhältnis zum Altertume so geändert, dass es uns schwer wird, diese Anschauungen vor Jahrtausenden zu verstehen. Wenn dies schon für den Medicohistoriker zutrifft, so ist es noch viel mehr der Fall für Leser, welche der Geschichte der Medicin ferner stehen. Als Zwischenstation für das Verständnis soll darum das Mittelalter gewählt werden. Die Anschauungen des Mittelalter finden die Aerzte der Culturländer überall noch als Laienmedicin, Volksmedicin oder wenigstens Bauernmedicin. Die Lehren des Mittelalter selbst sind aber nur die Traditionen des Altertum. Die arabische und die Salernitaner Medicin hatten die Lehren des Altertum übernommen. Von letzterer Schule wanderten die lateinischen Texte nach Norden und wurden in die bezüglichen Volkssprachen übersetzt. So entstanden medicinische Schriften des Mittelalter in provençalischer und normannischer Sprache d. h. in den mittelalterlichen Dialecten der französischen Sprache. Aus diesem Zwischenwege gelangten diese Lehren nach England in mittelenglischer Sprache. Die verschiedenen Bibliotheken enthalten hiefür wertvolle Belege z. B. Stockholm. Die wichtigsten Handschriften dazu dürften nach meiner Vermutung in Paris und London liegen. Es wäre nun wohl die dankbarste Aufgabe die Darstellung mittelalterlicher Parasitologie an der Hand dieser Quellen zu geben. Leider bin ich dazu ausser Stande und ich bezweifle auch, dass eine berufenere Feder baldigst eine solche Parasitologie schreiben wird.

Eine zweite Strasse der mittelalterlichen lateinischen Medicin lässt sich durch Übersetzungen in die mittelhochdeutsche, mittelniederdeutsche und mitteldänische Sprache nachweisen. Gerade für die mittelniederdeutsche Medizin ist mir durch photographische Reproductionen die umfangreichste Handschrift zugängig, welche noch nicht in Reproductionen in Händen anderer Medicohistoriker ist. Eine mittelniederdeutsche Parasitologie mag also hier gestattet sein. Das niederdeutsche Sprachgebiet umfasst im Mittelalter das ganze Tiefland im Norden von Deutschland, wo jetzt Hochdeutsch als Schriftsprache benützt wird, aber die Tochter der mittelniederdeutschen Sprache als « Plattdeutsch » in der Volkssprache weiterlebt und durch Fritz Reuter in die Litteratur eingeführt wurde.

Dass in der erwähnten mittelniederdeutschen Handschrift die Parasitologie einen breiten Raum einnimmt und dabei die damaligen Lehren von moderner Anschauung weit verschieden sind, ist schon dem Philologen Regel (1) aufgefallen, welcher als erster diese Handschrift wissenschaftlich benützt hat. Derselbe reproducierte als Stichproben charakteristische Stücke dieses Codex und zwar zuerst die drei ersten Kapitel. Dann fährt er fort: «Diesen Anfangsartikeln des deutschen Arzneibuches lass ich eine Reihe. von Abschnitten derselben Schrift folgen, welche entweder nach ihrem Gegenstand oder nach ihrer therapeutischen Ausführung charakteristisch sind, besonders solche, in denen Würmer als Krankheitsursache angenommen werden, oder in denen thierische Stoffe als Heilmittel vorgeschrieben sind ».

Die mittelniederdeutschen medicinischen Belege besitzen viele Berührungspunkte, so dass die erwähnte Handschrift, welche ich im Folgenden « Gothaer Arzneibuch » nenne, als Hauptbeleg herangezogen werden soll, da sie auch die umfangreichste und vielseitigste ist. Ausserdem liegen mittelniederdeutsche medicinische Handschriften in Utrecht, Wolfenbüttel und Rostock. Und auch vielen anderen Handschriften anderer Bibliotheken sind medicinische Abschnitte eingefügt. Auch zwei handschriftliche Receptsammlungen für Pferde sind mittelniederdeutsch bekannt. Mittelniederdeutsche Medicinbücher sind zudem in älterer Zeit

(1) Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung, V, 1879, p. 70.

auch gedruckt worden. Doch sind gerade diese Drucke nicht in meinem Privatbesitze und konnten auch nicht für vorliegende Arbeit benützt werden. Sollten sich Leser für diesen Stoff noch eingehender interessieren, so seien hier einige einschlägige Titel angefügt. Dieselben koennen zum Teil auch als sprachlicher Beleg dienen, während ich im Texte die mittelniederdeutschen Belegstellen in die neuhochdeutsche Sprache übersetzen werde.

1o Arstedyge Boeck: Eyn schone Arstedyge boeck van allerleye ghebreck vnde kranckheyden des minschen. Hamburg, 1483. Beschrieben in LAPPENBERG, Zur Geschichte der Buchdruckerkunst in Hamburg, p. 115.

20 Boek der Arstedie, gedruckt zu Lübeck 1484 durch Barthol. Ghotan.

30 Krüder-Boeck: De Krudtlade vormehret: Also dat ydt wol mach hethen de kleene Herbarius, Krüder-Boeck, edder Garde der Gesundheit van den Krüdern vnde Gewässen, etc. Hamburg, 1617.

Die Titel dieser Bücher zeigen schon dem Kenner der Medicohistorie, dass hier keine autochthone niederdeutsche Medicin vorliegt. Und das gleiche ist der Fall für die erwähnten Handschriften. Letztere beziehen sich fortgesetzt auf alte Autoren z. B. Hippokrates (1), Plato (2), Aristoteles (3), Pythagoras (4). Ptolemaeus (5), Vergilius (6), Macer (7), Plinius (8), Dioskurides (9), Galenos (10), Johannes Damascenus (11) und andere. Dabei wird Dioskurides (12) als Magister bezeichnet und Constantinus Africanus (13) unter die griechischen Aerzte gezählt. Von anderen Fehlern sei auf die Namensverstümmlung dieser Autoritäten hingewiesen, so dass selbst Ptolemaeus und Bartholomaeus (14) verwechselt werden konnten.

(1) Utrechter Arzneibuch, folio 70 b.

(2) Gothaer Arzneibuch, folio 96 a.

(3) Ibidem.

(4) Utrechter Arzneibuch, folio 96 b und 97 b.

(5) Utrechter Arzneibuch, folio 96 b und Gothaer Arzneibuch, folio 96 b.

(6) Gothaer Arzneibuch, folio 96 b.

(7) Utrechter Arzneibuch, folio 70 b.

(8) Utrechter Arzneibuch, folio 62 b.

(9) Utrechter Arzneibuch, folio 63 b, 72 b, 77 a und 77 b.

(10) Utrechter Arzneibuch, folio 69 a, 72 a, 77 b, 78 b.

(11) Utrechter Arzneibuch, folio 77 b.

(12) Utrechter Arzneibuch, folio 77 a.

(13) Gothaer Arzneibuch, folio 86 a.

(14) Gothaer Arzneibuch, folio 96 b.

Für unser Thema müssen wir aber noch über die medicinische Literatur hinausgreifen. Giftige und schädliche Tiere waren dem Mittelalter Ausgeburten des Teufels oder seiner Priesterinnen, der Hexen. In den Hexenprocessen werden darum häufig jene Tiere genannt, welche nach mittelalterlicher Ansicht eine Gesundheitsschädigung des Menschen verursachen konnten. Für mittelniederdeutsche Hexenprocesse giebt Koppmann (1) Einblicke aus dem Urteilsbuche des Rostocker Niedergerichts vom Jahre 1539 bis 1586. Die angeblich giftigen Tiere werden von den Hexen dem 'Donnerstagsbade des Teufels beigefügt, um später den Nebenmenschen damit Schaden zuzufügen. Erwähnt werden hier Schlangen 11 mal, Kröten 8 mal, Eidechsen 7 mal, Frösche 5 mal, Nattern 5 mal, Spinnen 3 mal, Schnacken 2 mal, Elstern 1 mal, Raben 1 mal, Wassermäuse 1 mal, Hornissen 1 mal, Schnecken 1 mal, Myriapoden 1 mal, Schmeisswürmer 1 mal, Sonnenwürmer 1 mal, Lindwürmer 1 mal, Steinwürmer 1 mal und graue Maden 1 mal.

In der Volksanschauung wie bei den Juristen jener Zeit waren darnach die zoologischen Begriffe im allgemeinen und die Anschauungen von den giftigen Tieren recht verschwommene. Wir müssen nun sehen wie weit die Zoologie des ärztlichen und niederärztlichen Personales reichte.

Wichtig war die Lehre von den Würmern, unter welchem Namen damals die meisten schädlichen Tiere eingereiht wurden, für diese Kreise sicherlich. Im Inhaltsverzeichnis z. B. der Practica des Bartholomaeus (2) findet sich Kapitel 8: Von den Würmern, welche das Haar fressen, Kapitel 17: Gegen die Zahnwürmer, Kapitel 33: Gegen die Würmer in dem Magen und Kapitel 64: Von einer Beschwörung gegen die Würmer. Unter 66 Kapitelüberschriften beziehen sich abgesehen von Cancer etc. vier Kapitel, also 6 %, auf Würmer als therapeutische Indication; also sicherlich ein breites Gebiet der mittelalterlichen Pathologie bezieht sich auf Parasiten.

DER BEGRIFF DES WURMES IN MITTELNIEDERDEUTSCHEN BELEGEN.

Die meisten Parasiten fallen unter den Begriff « Wurm ». Aber die Würmer in der Vorstellung des mittelniederdeutschen Arztes

(1) Korrespondenzblatt des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung, XXI, No 2.

(2) Gothaer Arzneibuch, folio 85 a bis 86 a.

decken sich ebenso wenig wie die Würmer der Altaegypter mit der Abgrenzung der Vermes der modernen Zoologie. Gegen Diarrhoee werden (1) neun Maden aus der Erde empfohlen d. h. wie es scheint Larven von Melolontha. Hier werden also die Insectenlarven ganz richtig nicht zu den Würmern gerechnet. Dagegen wird an anderer Stelle (2) der Wurm als Medicament empfohlen, welcher in der Sommernacht leuchtet. Hier wird also umgekehrt der Käfer: Noctiluca splendida, also ein Insect selbst, als Wurm bezeichnet.

Auch gegen Angina (3) wird empfohlen: Nimm Maden, welche in der Erde kriechen, contundiere sie in einem Mörser, siede sie mit Oel und cataplasmiere den Hals damit.

Und im Tierkreis (4) wird Scorpio mit «Wurm >> übersetzt.

Unter Wurm und Spinne (5) werden alle fusslosen und befussten Giftträger an anderer Stelle vereint, wobei wohl die Spinne traditionelle Substitution für früheren Scorpion ist. Wenn einen Patienten ein Wurm oder eine Spinne gestochen hat. Hat dich ein Wurm oder eine Spinne gestochen, so fange eine Fliege und zerreibe sie auf dem Stiche; dann schadet dir dies nichts.

Die hierin ausgesprochene Einteilung wird mehr oder weniger eingehalten. Dagegen scheint viel weniger streng zwischen Wurm, Schlange und Natter einerseits und Spinne, Skorpion, Sepia und Krebs andererseits getrennt worden zu sein. Aber auch die Trennung zwischen aechten Tieren und der unbelebten Natur wurde nicht überall strenge eingehalten.

Durch den allgemeinen Glauben an die Entstehung der Parasiten durch Generatio aequivoca aus schlechten Säften wurde die Grenze zwischen pathologischen Veränderungen von Geweben und ächten oder hypothetischen Parasiten nicht scharf gezogen. An dieser Grenze steht ein Begriff, aus dem unsere moderne Nomenclatur zwei Bezeichnungen übernommen hat: «Carcinoma » als Krebs und « Schanker » als Symptom der Venerie. Im Begriffe hat beides nichts mehr mit dem mittelalterlichen « Krebse » zu thun. Ob der mittelatterliche Arzt diesen mittelalterlichen Krebs als Parasiten

(1) Utrechter Arzneibuch, folio 81 a.

(2) Loco citato, folio 79 a.

(3) Gothaer Arzneibuch, folio 24 b.

(4) Gymnasialbibliothek zu Halberstadt, cod. 99, fol. 15.

(5) Gothaer Arzneibuch, folio 170 a, 18-21.

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