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betrachten sollte oder nicht, darüber wurde er sich wohl nie klar. Es war und blieb ihm ein Grenzbegriff. Der Cancer (1) entsteht manchmal von äusseren Ursachen z. B. Wunden, welche ein ungeschickter (!) Arzt nicht zu heilen verstand, oder von so kleinen Wunden, dass dieselben nicht beachtet wurden. Wenn sie vernachlässigt ist, so wird dies ein Cancer und dies heisst man dann nicht mehr Wunde, sondern Cancer oder Fistula. Manchmal entsteht der Cancer auch von innerlichen Ursachen z. B. wenn Fäulnis auf ein Organ zusammenfliesst, so dass eine Geschwulst entsteht, welche vernachlässigt wird. Es wird dann hart, so dass man die Stelle deutlich fühlen kann. Daran hängen Adern nach der Art der Arme des Fieres: Cancer. Und weil dies Adern hat, so wie der Krebs seine Füsse, so heisst dies Cancer.

Dagegen lehrt die Practica des Bartholomaeus (2): Eine Krankheit heisst Cancer nach dem Krebse. Sie wächst nach innen, wie der Krebs nach rückwärts kriecht, und sie ist lebendig. Dies diagnosticiere qus der harten Geschwulst und der Randzone, welche darum liegt.

Ausser der Auffassung des Carcinoma als Tier wurde auch die Fistel und die Phlegmone zur Parasitenfauna gerechnet, so dass die mittelalterliche Parasitologie im zoologischen Sinne so allumfassend zu werden drohte, wie es heute mit der pflanzlichen Parasitologie den Anschein hat. Dies kam in einsichtsvollen Stunden auch dem mittelalterlichen Naturforscher zum Bewusstsein.

Dass zwischen den hypothetischen und scheinbar objectiven Würmern doch immer noch unterschieden werden muss, heben die mittelalterlichen Zoologen durch die Betonung des « lebenden Wurmes» hervor. Dabei wurde aber sicherlich das Gefühl der Pulsation in Phlegmonen allzu zuversichtlich als Beweis des wirklichen Lebens aufgefasst. Der « lebende Wurm » d. h. also die Phlegmone wurde beschworen (3) Du sollst dies Blut nicht saugen, diese Knochen nicht nagen, die Sehnen nicht beissen. Dein Stachel soll in diesem Fleische so stille stehen, wie ich im Mutterleibe gestanden habe.

Leben wird aber auch Erkrankungen zugeschrieben, wo an lebende Parasiten gar nicht gedacht wurde. Die Fistel (4) wird

(1) Gothaer Arzneibuch, folio 30 b.

(2) Gothaer Arzneibuch, folio 95 a, zeile 21. (3 Rostocker Urteitsbuch, 1584, folio 320.

(4) Gothaer Arzneibuch, folio 27 b.

definiert als ein Geschwür mit enger Öffnung und weitem Grunde. Es wird aber sofort wiederholt von toten Fisteln gesprochen und eine Indication (1) findet sich: Recept um Fisteln zu töten. Hier stehen die Begriffe << lebendig » und « tot » im Mittelalter den modernen pathologischen Begriffen « acut » und « chronisch » nahe entsprechend. Der Begriff << Wurm » ist also im Mittelalter generell und wurde darum in Species zerlegt. So wenig scharf aber, wie wir gesehen haben und noch sehen werden, das Genus « Wurm » nach aussen abgegrenzt war, um so bestimmter tritt immer wieder die innere Gliederung in neun Species auf. Die Zahl neun ist uns schon bei den neun Maden aus der Erde (2) begegnet. Hier waren es neun Individuen derselben Species. Neun Bestandteite enthalten auch die Hexengebräue. Es ist also neun eine mystische Zahl, in welcher alles teuflische auftritt. In einem langen Wurmsegen (3) sind darum tatsächlich neun Wurmarten mit deutschen Namen im lateinischen Texte beschworen Haarwurm, Nabelwurm, Brennwurm, Schafwurm, Quasewurm, Farn, Bersel, Zahnwurm und Hesper.

Während aber hier ohne Nennung der Zahl neun die nötigen Wurmnamen vollzählig hergenannt werden, spielt in den Hexenprocessen (4) die ausgesprochene Neunzahl der Würmer eine Rolle. Die Aufzählung der Würmer mit Zahl und Namen erscheint hier gleichzeitig als angeblich wirksamste Beschwörung der Würmer, ein Zug, welcher wieder einmal sehr lebhaft an altaegyptischen Zauberglauben erinnert. Bei Bartsch wird eine solche Formel von den neun Würmern mitgeteilt, in der sie fast nur nach Farbenbezeichnungen unterschieden werden, wogegen im Urteilsbuche der Spruch lautet: Der Würmer sind neun: der blaue und graue, der Eiterer, der Stecher, der Schmerzer, der Schweller, der Intermittierer, der Spalter, der Läufer und der Rinnende. Hier ist aber der Beschwörer, wenn wir nicht « blau und grau » als Einheit fassen wollen, über sein Ziel der Neunzahl thatsächlich hinausgeschossen. Für die Abgrenzung des zoologischen Genus der Würmer ergiebt sicherlich diese Teilung in neun Species nicht viel.

(1) Gothaer Arzneibuch, folio 28 b.

(2) Utrechter Arzneibuch, folio 81 c.

(3) Gothaer Arzneibuch, fol. 100 b und 101 a.

(4) Rostocker Urteilsbuch 1584, folio 320 und BARTSCH, Sagen, Märchen und Gebräuche aus Mecklenburg, p. 427.

Vor allem ist aber auch in der mittelniederdeutschen Medicin nicht zwischen Würmern und Schlangen scharf geschieden, sondern beides mit Würmer bezeichnet. Für die Verwendung von Inula Helenium (1) wird angegeben, dass diese Pflanze wider Wurmstiche gut sei. Die ganze Stelle ist aber ein unverkennbares Excerpt aus Dioskurides (2), wo im Originale von Schlangenbissen die Rede ist. Die mittelniederdeutsche Übersetzung hat aber nicht direct aus dem griechischen Originaltexte des Dioskurides geschöpft, sondern aus der lateinischen Bearbeitung des Mittelalters, die durch STADLER wieder bekannter wurde. Und wahrscheinlich hat sich hier noch als weitere Brücke der Überlieferung Macer Floridus eingeschoben. Alle diese Zwischenautoren haben aber selbst nur sehr vage Begriffe einer naturwissenschaftlichen Systematik und haben die Begriffe des Altertum mehr verwirrt als geklärt.

In gleicher Weise werden bei Celeya (3) die Wurmstiche erwähnt. Ruta graveolens (4) ist gut zu essen gegen Wurmstiche und gegen Vergiftungen. Dies wird lateinisch für Allium Porrum (5) in den ursprünglichen Hexametern citiert Cum vino porrum datur hiis quos leserit anguis; quodlibet autem animal fundens letale venenum. Nec minus hiis prodest si vulneribus superaddes. Si velud enplastrum porrum cum melle subactum.

Wider den Wurmstich wird Comen (6) mit Wein getrunken.

Und doch kann in der mittelniederdeutschen Sprache scharf zwischen Wurm und Schlange geschieden werden (7): Wider den Stich der Nattern: Nimm ein Kraut, das Dragantea (Polygonum Bistorta) heisst; das sollst du mit Essig sieden und zu trinken geben; so bald er dies trinkt, so fährt dies Gift aus ihm.

Wenn (8) jemanden eine Otter oder eine Schlange sticht: Man nehme « Driakel » und gebe ihm davon haselnussgross mit Wasser und bestreiche die Wunde damit. Wer dies nicht hat, der nehme Asarum euro

(1) Utrechter Arzneibuch, folio 77 a.

(2) De medica materia, lib. I, cap. 27, edit, lat. Matthioli.

(3) Utrechter Arzneibuch, folio 76 b.

(4) Utrechter Arzneibuch, folio 74 a.

(5) Utrechter Arzneibuch, folio 71 a. (6) Utrechter Arzneibuch, folio 68 b. (7) Utrechter Arzneibuch, folio 64 b. (8) Utrechter Arzneibuch, folio 48 a,

paeum (?) und hitze sie an der Nase (?) und nehme Ruta graveolens in die Zange und halte sie auf die Wunde.

Hat dich (1) eine Schlange oder ein anderer Wurm gestochen, so nimm und contundiere Sanguinaria (?) zu Pulver, giesse etwas Bier dazu, lass es eine Stunde stehen, nimm dann das Bier und trinke die Hälfte. Die andere Hälfte verreibe um die Geschwulst von vier Finger (?) breit Entfernung an allmählig näher bis zur Stelle des Wurmstiches. So entlehrt sich die Vergiftung rasch. — Oder trinke Theriak und streiche von gleicher Entfernung aus immer näher zur Wunde auch Theriak.

Eine Besprechung der Schlangen (2) findet sich als Capitelüberschrift eines Arzneibuches.

So verschwommen hier die Grenze zwischen Wurm und Schlange ist, und so niedrig dadurch die Zoologie jener Zeit erscheint, so ist doch jene Zeit nicht ohne innige Berührung mit der Natur und besitzt vereinzelt dadurch manche sehr scharfe Beobachtung für Einzelerscheinungen. Nur die Systematik überall zu eifrig und zu künstlich gesucht wurde speculativ und dadurch völlig unwahr.

Selbst einer hübschen Beschreibung der Ringelnatter, Coluber natrix, begegnen wir (3). Gegen Aussatz wird das Pulver einer gebrannten Schlange verordnet. Dabei ist an dieser Stelle plötzlich im mittelniederdeutschen Texte das hochdeutsche Lehnwort für Schlange verwendet. Nachdem nun der Verfasser die Kräfte des Schlangenpulver hoch gepriesen hat, glaubt er bei der gefürchteten Giftigkeit der Schlangen seine Leser von gefährlichen Verwechselungen bewahren zu müssen : Aber hüte dich, da es gar viele Arten Schlangen giebt, dass du keine andere Schlange benützest ausser Bergschlangen und Hausschlangen. Diese erkenne daran. Sie soll einen weissen Bauch, einen schwarzen Rücken und einen gelben Ring um den Hals haben. Die Haut soll beschaffen sein, als hätte sie Fischschuppen. Aber es sind keine Fischschuppen; sondern die Haut selbst ist nach Schuppen eingeteilt und gezeichnet.

Welche Giftigkeit man diesen Schlangen zuschrieb ergiebt ein Recept gegen Lepra (4): Siede eine Schlange in einem geeigneten

(1) Gothaer Arzneibuch, folio 54 b.

(2) Wolfenbüttler Codex 23, 3, folio 6 a.
(3) Gothaer Arzneibuch, folio 56 b.
(4) Gothaer Arzneibuch, folio 62 b.

Kessel, siede Korn damit und gib das Korn und das Wasser einem Huhne zu fressen und zu saufen. Sobald dann der Henne von selbst d. h. durch das Korn die Federn ausfallen, so verwende sie in weiter angegebener Weise. Hier soll also das Gift erst im Körper des Huhnes mitigiert werden. Kurz darnach wird als Substitut für Schlangenfleisch Storchenfleisch empfohlen augenscheinlich, weil der Storch Schlangen frisst.

Auch von dem Sitze des Giftes (1) wird Mitteilung gemacht: Nimm eine frische Schlange, schneide ihr den Kopf drei Daumen breit ab und ebenso viel von dem Schwanze; denn in diesen Stücken sitzt das Gift. Hierin liegt sicherlich eine Confusion mit dem Scorpion.

ALLGEMEINE THERAPIE DER PARASITEN.

Eine Unterscheidung von Schlangen, Würmern und hypothetischen Würmern wurde natürlich für zwecklos angesehen, wo man diese Schädlinge nur als die belebte Form einer einheitlichen Materia peccans ansah. Vor allem war dies der Fall, wo man diese Materia peccans durch theurgische Therapie glaubte entfernen zu koennen (2).

In nomine patris et filij et spiritus sancti amen

jop simplex et rectus in sterquilinio sedebat

ad dominum deum preces suas fundebat cum eisdem
verbis he domine sana hominem istum a morsu
vermium siue sit barworm siue nauelworm
siue berneworm siue schafworm siue quase
worm siue varn siue bersel siue teneworm

siue hesper siue cancer vel cuiuscumque generis ver
mium sitis preciosi precipio vobis per veram
obedienciam et coniuro vos per patrem et filium et
spiritum sanctum amen et per beatum jop vt mo
riamini et in eodem loco nunquam conueniatis
nunquam conperatis nunquam carnem eius comeda
tis nec ossa eius frangatis nec sangwinem suum
bibatis nec quitcunque sibi de cetero molesti inforitis
precipio vobis per veram obedienciam et

per patrem et filium et spiritum sanctum amen et per
beatum jop et per illum qui venturus est iudicare
viuos et mortuos in seculum per ignem amen
alzo leet sy dy worm dyt vlesch to etende

(1) Gothaer Arzneibuch, folio 93 a, 5-8.
(2) Gothaer Arzneibuch, folio 100 b, 3 bis 101 a 3.

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